Der Arbeitsalltag von morgen: Welche Arbeitszeitmodelle wird es in der Zukunft geben?

Der Arbeitsalltag von morgen: Welche Arbeitszeitmodelle wird es in der Zukunft geben?

Der Arbeitsalltag ist im Wandel. Demografische Veränderungen, der Klimawandel, die besonderen Umstände während der Pandemie und die wachsenden Möglichkeiten durch die Digitalisierung haben dazu geführt, dass bestehende Arbeitsplatzstrukturen und Arbeitszeitmodelle hinterfragt werden. Wie wird der Arbeitsalltag von morgen aussehen und welche Arbeitszeitmodelle werden die Zukunft prägen?

Die Digitalisierung prägt den Arbeitsalltag

Die Digitalisierung ist in allen Lebensbereichen greifbar. Auch den Arbeitsalltag haben die neuen technischen Möglichkeiten stark geprägt. Allein in Deutschland sind in den letzten Jahren durch die Digitalisierung rund 1,5 Millionen neuer Arbeitsplätze geschaffen worden. Viele bestehende haben sich strukturell und inhaltlich verändert und erfordern heute neue Kernkompetenzen. Stichworte wie Telearbeit und Homeoffice, Cloud, Crowdworking und Entbetrieblichung beschreiben die Trends, die den Arbeitsalltag in eine flexiblere und stärker in der virtuellen Welt angesiedelte Zukunft begleiten sollen.

Ein Aspekt, der in einem modernen Arbeitsalltag ganz neu gedacht werden muss, ist die Arbeitszeit. Sie ist ein fester Bestandteil der meisten Arbeitsverträge und hat damit auch arbeitsrechtliche Relevanz. Bereits jetzt existieren unterschiedliche Arbeitszeitmodelle, die die Prozesse in verschiedenen Branchen und Arbeitsbereichen abbilden. Für die Zukunft zeichnen sich neue Trends ab, die Arbeitszeitmodelle noch einmal aus einem anderen Blickwinkel beleuchten werden. Die deutsche Arbeitspsychologin und Wirtschaftswissenschaftlerin Prof. Dr. Ulrike Hellert beschäftigt sich seit Jahren tiefgreifend mit Themenschwerpunkten wie flexible moderne Arbeitszeiten, mobile und virtuelle Arbeit, Projektarbeit, Stressprävention und Arbeitsmotivation. Sie ist davon überzeugt, dass Arbeitszeit und innovative Arbeitsmodelle der Schlüssel zu einer modernen wettbewerbs- und mitarbeiterorientierten Arbeitsgestaltung sind. In ihrer Unternehmensberatung „Moderne Arbeitszeiten“ berät sie Unternehmen bei der Einführung flexibler Arbeitszeiten, die zugeschnitten sind auf die Bedürfnisse der Mitarbeiter und Arbeitgeber und die insbesondere Aspekte wie Gesundheitsförderung, Stressprävention, Produktivität und Mitarbeiterzufriedenheit berücksichtigen. Sie weiß, je digitaler Teilprozesse wie die Zeiterfassung in modernen Unternehmen gestaltet werden können, desto größer ist der Spielraum für Flexibilität und Eigenverantwortlichkeit für Arbeitnehmer und damit auch für Zufriedenheit und Work-Life-Balance.

Moderne Arbeitszeitmodelle denken die Arbeitskraft der Angestellten als Ressource neu und machen Arbeiten losgelöst vom starren Modell möglich. Diese Arbeitszeitmodelle könnten die Zukunft bestimmen.

Das Homeoffice als Basis

Dem Homeoffice hat die voranschreitende Digitalisierung Schritt für Schritt den Weg geebnet, doch erst die Ausnahmesituation während der Pandemie hat die Thematik vollständig in den Fokus gerückt. Telearbeit und mobiles Arbeiten haben einen Aufschwung erfahren, der viele Problematiken der modernen Arbeitswelt positiv beeinflussen könnte. Der Wunsch nach einer besseren Work-Life-Balance und die gesundheitsfördernden Faktoren, die damit in Zusammenhang gebracht werden, werden durch die Möglichkeit des Homeoffice ebenso bedient wie die essenziell wichtige Einbindung von Erwerbstätige mit Fürsorgeverpflichtungen für Kinder oder Pflegebedürftige, die dem akuten Fachkräftemangel entgegenwirken könnte.

Das Homeoffice selbst ist kein Arbeitszeitmodell, es ist aber die Grundlage für die Entstehung und Umsetzung neuer Modelle zur Arbeitsplatzgestaltung. Die Telearbeit macht es möglich, Teilprozesse oder ganze Arbeitsbereiche aus dem Betrieb auszulagern und in flexible Arbeitszeiten zu kleiden, die sich individuell an die Bedürfnisse von Unternehmen und Mitarbeitern anpassen lassen. Der Gewinn kann auf beiden Seiten groß sein, wenn flexible Arbeitszeitmodelle und digitale Konzepte zur Zeiterfassung und Leistungserhebung geschaffen werden, die gesetzliche Rahmenbedingungen abbilden und das Vertrauensverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer stärken können.

Durch das Homeoffice können neue Arbeitszeitmodelle und Arbeitsplatzgestaltung eingeführt werden. © pressmaster | Adobe Stock

Gleitzeit

Die Gleitzeit ist ein Arbeitszeitmodell, das feste Arbeitszeiten und eine flexiblere Arbeitszeitgestaltung miteinander kombiniert. Arbeitnehmer erfüllen nach diesem Modelle eine festgelegte Anzahl an Stunden pro Tag oder Woche. Dabei sind sie aber nicht an starre Anfangs- oder Endzeiten gebunden. Häufig wird eine Kernarbeitszeit vereinbart, zu der Mitarbeiter im Unternehmen anwesend oder an ihrem Homeoffice Arbeitsplatz tätig oder zumindest erreichbar sein müssen. Die gemeinsame Kernarbeitszeit wird genutzt, um Meetings, Kooperationen mit Kollegen und andere Termine unterzubringen.  

Wie sie ihre Arbeitszeit um die Kernzeit herum gestalten, bleibt den Mitarbeitern freigestellt. So lassen sich Fürsorgeverpflichtungen für Kinder oder pflegebedürftige Angehörige ebenso im Arbeitsalltag berücksichtigen wie die individuelle Produktivitätskurve im Verlauf des Tages.

In der Zukunft eines modernen Arbeitsmarktes könnte die Gleitzeit stärker an Bedeutung gewinnen und dabei helfen, Hybridmodelle wie eine Kombination aus Homeoffice und Präsenzarbeit auszugestalten.

Funktionszeit

Unter Funktionszeit versteht die Arbeitswelt von morgen ein Arbeitsmodell, das an die Gleitzeit anknüpft, diese allerdings in eine andere Richtung weiterdenkt. Bei der Funktionszeit tritt ein Konzept der Funktions- oder Servicezeit an die Stelle der Kernarbeitszeit, die beim Gleitzeitmodell verfolgt wird. Eine Abteilung, ein Arbeitsbereich oder ein Projektteam stellt seine Leistung oder seinen Teil des Arbeitsprozesses zu einer bestimmten Zeit zur Verfügung. Bestimmte Servicezeiten werden damit zum benötigten Zeitpunkt sichergestellt.

Im Unterschied zur Gleitzeit ist die Funktionszeit allerdings unabhängig von einzelnen Mitarbeitern. Die Arbeitsleistung wird von einem fachlich qualifizierten und befugten Mitarbeiter erbracht. Nach welchem Arbeitszeitenmodell die zur Verfügung stehenden Mitarbeiter ihre Arbeitsleistung zur Verfügung stellen, kann dafür aber individuell vereinbart werden. Funktionszeit ist als Konzept gut dafür geeignet, mehr Verantwortung in die Hände einzelner Teams zu legen und damit eine dezentralisierte Arbeitswelt zu schaffen. Die Besetzung der Funktionszeit wird intern im Team geregelt, das gemeinschaftlich auf Abweichungen wie Krankheitsfälle, besonderen Betreuungsbedarf für Kinder oder pflegebedürftige Angehörige oder andere außerberufliche Termine reagieren kann. Die Verlagerung der Entscheidungskompetenzen in das Team kann das Verantwortungsbewusstsein gegenüber dem Unternehmen stärken und als Zeichen der Wertschätzung und der Berücksichtigung individueller Bedürfnisse für mehr Zufriedenheit im Arbeitsalltag sorgen.

Die Funktionszeit ist die Weiterentwicklung der Gleitzeit und lässt sich flexibel mit anderen Arbeitszeitmodellen wie Teilzeit, Jobsharing und Vertrauensarbeitszeit kombinieren. Damit kann sie auf dem Arbeitsmarkt der Zukunft ein Bindeglied zwischen zuverlässigen Servicezeiten und individuellen und bedürfnisorientierten Arbeitszeitmodellen darstellen.

Teilzeit

Teilzeitmodelle sind schon lange ein fester Bestandteil der Arbeitswelt. Besonders häufig finden sie Anwendung, wenn Mütter oder Väter nach der Elternzeit mit einem geringeren Stundenkontingent wieder in den Beruf einsteigen. Aber auch in einer stärker vom Bedürfnis nach persönlicher Entfaltung und Work-Life-Balance geprägten Zukunft des Arbeitsmarktes wird die Teilzeit mehr in den Fokus des Interesses rücken.

Eine bessere Vereinbarkeit von Familie oder Freizeit und Beruf wird durch Teilzeitmodelle möglich. Die Anzahl der Arbeitsstunden und die Einteilung der Arbeitszeit können flexibel vereinbart und gestaltet werden und lassen sich so an die Voraussetzungen anpassen, die Arbeitsbereiche, Arbeitsprozesse und fachliche Kompetenzen schaffen.

Damit die Teilzeit die Arbeitswelt der Zukunft prägen kann, muss sie eng mit einer flexiblen Wahl der Arbeitszeiträume und des Arbeitsplatzes und mit innovativen Systemen zur Zeiterfassung verknüpft sein. Auch Konzepte wie Vertrauensarbeitszeit, ein Jahresarbeitskonto und Jobsharing machen Teilzeitmodelle vielseitig und damit zukunftsfähig.

Jobsharing

Ein Arbeitszeitmodell der Zukunft ist das Konzept des Jobsharings. Geteilte Arbeits- und Kompetenzbereiche sind ein Ansatz, um auf die immer komplexeren Anforderungen im Arbeitsalltag und den akuten Fachkräftemangel auf dem modernen Arbeitsmarkt zu reagieren. Durch Jobsharing können die fachlichen Kompetenzen mehrerer Mitarbeiter miteinander kombiniert werden, um Anforderungen komplexer Stellenbeschreibungen gerecht zu werden und gleichzeitig dem Bedürfnis der Mitarbeiter auf verschiedenen Hierarchieebenen nach individueller Zeiteinteilung und einer besseren Vereinbarkeit von Familie, Freizeit und Beruf zu entsprechen.

Die Teilung des Arbeitsplatzes kann auf einer rein zeitlichen Basis erfolgen, aber auch nach individuellen Kompetenzen, Fachwissen und Befugnissen gestaltet werden. Jobsharing in all seinen Facetten und Ausgestaltungsmöglichkeiten gehört zu den Trends, die auf die wachsenden Anforderungen eines modernen Arbeitsalltags reagieren.

Vertrauensarbeitszeit

Vertrauensarbeitszeit wird die Arbeitswelt von morgen in hohem Maße prägen. Das Konzept bildet in hohem Maße die veränderten Bedingungen in der Arbeitswelt ab, die Arbeitszeit und fachliche Kompetenzen von Mitarbeitenden eher projektbezogen erforderlich machen als in starre Stundenmodelle eingefügt. In Kombination mit Telearbeit und dem Homeoffice als flexiblem Arbeitsplatz kann die Vertrauensarbeitszeit Unternehmen und Angestellte in eine bedürfnisorientierte und damit weitaus produktivere Zukunft führen.

Die Arbeitsleistung wird bei der Vertrauensarbeitszeit nicht an klassischen Parametern wie einer festen Präsenzzeit im Betrieb oder starren Arbeitsstunden im Homeoffice oder im Hybridmodell bemessen, sondern über eine flexible Zeiterfassung und ergebnisorientierte Leistungserfüllung bewertet. Das schafft nicht nur Raum für den individuellen und an persönlichen Kompetenzen und Bedürfnissen orientierten Arbeitsalltag, sondern birgt auch großes Potenzial für Unternehmen, die die Fähigkeiten ihrer Angestellten bestmöglich ausschöpfen möchten.

Für die Vertrauensarbeitszeit werden Zeiterfassungssysteme weitgehend durch individuelle Zielvereinbarungen ersetzt. Das bringt Vorteile für beide Seiten, kann aber nur in einer Unternehmenskultur des Vertrauens, des konstruktiven Miteinanders und der Loyalität funktionieren.

Jahresarbeitszeit und Zeitwertkonten

Dieses Arbeitszeitmodell wird in der Arbeitswelt bereits praktiziert, ist allerdings bislang eher die Ausnahme. Bei der Jahresarbeitszeit wird die zu erbringende Arbeitsleistung nicht als wöchentliche oder monatliche Gesamtleistung erfasst, sondern wird als Kontingent auf das gesamte Arbeitsjahr verteilt. Im Laufe eines Jahres kann die zu erbringende Arbeitszeit nach Arbeitsaufkommen, projektbezogen oder nach individueller Absprache eingeteilt werden. Jahresarbeitszeit ist meist mit individuellen Zeitwertkonten verknüpft, auf denen Mitarbeiter die geleistete Arbeitszeit erfassen und diese mit der genommenen Freizeit gegenrechnen.

Der Vorteil liegt darin, dass die Mehrleistung zu Stoßzeiten flexibel durch niedrigere Arbeitszeiten in anderen Zeiträumen ausgeglichen werden kann. So kann das Unternehmen bedarfsorientiert auf Fachkräfte zugreifen, ohne aufgrund von starren Arbeitszeiten ein hohes Überstundenkontingent aufzubauen. Angestellte können dagegen ihre Arbeit bedarfs- oder projektorientiert zur Verfügung stellen und durch eine individuelle Einteilung eine bessere Work-Life-Balance erreichen.

Jahresarbeitszeit ist nur für einzelne Branchen und Arbeitsplatzstrukturen geeignet. In der Arbeitswelt von morgen, in der es immer stärker auf projektbezogene Arbeitskonzepte hinauslaufen wird, kann sie eine interessante und bedarfsgerechte Ergänzung zu anderen Arbeitszeitmodellen darstellen.