Es geht hier nicht um Selbstoptimierung. Auch nicht um die nächste Achtsamkeitsübung oder darum, mit Räucherstäbchen ins Meeting zu gehen. Dieser Beitrag liefert Ihnen konkrete Strategien, wie Sie im ganz normalen Wahnsinn des Führungsalltags die Kontrolle über Ihr Innenleben zurückerobern.
Keine theoretischen Konzepte, sondern praktikable Ideen für den echten Alltag zwischen Budgetdruck, Change-Geblubber und Kaffeemaschinen-Kriegen.
Los geht’s mit dem ersten Hebel, der Ihnen hilft, künftig nicht mehr auf Knopfdruck zu reagieren – sondern sich elegant zu entziehen.
Legen Sie sich ein mentales „Mikroskop“ zu – und analysieren Sie den Trigger
Sie werden nicht wütend, weil jemand etwas sagt. Sie werden wütend, weil Ihr Gehirn ein altes Drehbuch aufruft. Das, was da wie ein Trigger wirkt, ist nicht der Auslöser – sondern nur der Knopf, der ein gespeichertes Programm startet.
Und dieses Programm wurde nicht gestern geschrieben. Die Reizbarkeit, die Unsicherheit oder der Ärger, den Sie im Moment spüren, ist oft die Echoantwort auf frühere Erfahrungen.
Führungskräfte in der mittleren Ebene laufen dabei besonders häufig in die Falle. Warum? Weil sie täglich zwischen den Fronten stehen – oben strategisches Zielgeplapper, unten operative Realität. Und weil viele Situationen emotionale Déjà-vus auslösen: „Wieder werde ich übergangen“, „Schon wieder diese unterschwellige Kritik“, „Ich darf nichts sagen, sonst heißt es, ich sei schwierig.“
Hier kommt Ihr mentales Mikroskop ins Spiel: Wenn Sie getriggert werden, stoppen Sie innerlich. Nicht durch Durchatmen oder Zählen (das kennen Sie alles schon), sondern durch radikale Neugier: Was genau an der Situation ist so vertraut? Welche Szene in meinem inneren Theater wird gerade abgespult? Wer schreibt hier gerade Regieanweisungen – ich oder mein zehn Jahre jüngeres Ich?
Ein Beispiel aus der Praxis: Eine Führungskraft berichtet, dass sie regelmäßig ausrastete, wenn ein bestimmter Kollege Dinge „zwischen Tür und Angel“ kritisierte. Erst als sie erkannt hatte, dass sie früher von einem autoritären Lehrer auf genau diese Weise bloßgestellt wurde, veränderte sich etwas. Nicht durch nette Affirmationen – sondern aufgrund des Durchschauens der Mechanik.
Der Knopf verliert seine Macht, wenn Sie den Strom kappen, der ihn versorgt. Und das funktioniert nur, wenn Sie verstehen, warum er bei Ihnen überhaupt leuchtet.
Entwickeln Sie eine Reiz-Reaktions-Verzögerung mit eingebautem „internem Übersetzer“
Wer glaubt, dass Selbstbeherrschung bedeutet, die Lippen zusammenzupressen, liegt falsch. Sie brauchen keine Zensurbehörde im Kopf – sondern einen Dolmetscher. Denn viele Aussagen, die wie ein Angriff klingen, sind in Wahrheit plumpe Versuche, sich selbst zu stabilisieren.
Die Kollegin, die Ihre Präsentation zerlegt, leidet vielleicht unter massiver Unsicherheit. Der Teamleiter, der Ihre Vorschläge ignoriert, hat womöglich keine bessere Idee, will aber den Anschein von Kontrolle wahren.
Hier liegt Ihr Hebel: Trainieren Sie sich an, verzögert zu reagieren – nicht im Sinne von Langsamkeit, sondern als mentale Zwischenstation. Bevor Sie reagieren, lassen Sie innerlich eine Übersetzung laufen: Was könnte das eigentlich heißen? Für wen ist das gerade wirklich wichtig? Und hat das überhaupt etwas mit mir zu tun?
In der Praxis funktioniert das wie ein Shortcut: Ein kurzer innerer Check, bevor Sie auf die E-Mail antworten, bevor Sie die Stirn runzeln, bevor Sie die Stimme heben.
Diese Millisekunden entscheiden, ob Sie zum Spielball werden – oder zur Spielverderberin für destruktive Dynamiken.
Probieren Sie diesen psychologischen Trick
Ersetzen Sie das Wort „ich“ in Ihrem inneren Monolog für einen Moment durch „es“.
Statt „Ich fühle mich übergangen“, sagen Sie innerlich „Es entsteht der Eindruck, übergangen zu werden“. Dieser kleine Abstand reicht oft schon, um nicht in den Reflex zu rutschen.
Führung bedeutet eben nicht, dass man nicht getriggert wird, sondern dass man entscheidet, was man mit dem Impuls macht. Wer eine interne Übersetzungsinstanz etabliert, entzieht sich dem Marionettenstatus. Denn was Sie nicht sofort glauben, müssen Sie auch nicht direkt beantworten.
Installieren Sie einen „emotionalen Spam-Filter“ – und trainieren Sie ihn
Stellen Sie sich vor, Sie würden jede einzelne E-Mail sorgfältig lesen, die Ihnen Ihr Unternehmen automatisch zusendet – von der neuen Druckerpapier-Richtlinie bis zum Geburtstagsgruß vom Vorstand. Sie wären nach drei Tagen arbeitsunfähig.
Genau das passiert aber emotional, wenn Sie ungefiltert auf alles reagieren, was Menschen in Ihrer Umgebung aussenden: Seitenblicke, ironische Bemerkungen, unausgesprochene Erwartungen.
Ihr Nervensystem braucht dringend eine Sortierhilfe. Nicht im Sinne von Abstumpfung – sondern im Sinne von Relevanzbewertung. Und das funktioniert am besten, wenn Sie sich ein internes Bewertungssystem einrichten, das wie ein emotionaler Spam-Filter agiert.
Die Trainingsfrage dafür lautet: Gehört das wirklich auf meinen Schreibtisch? Wenn Ihnen jemand ein schlechtes Gewissen unterschieben will, ein diffuses Problem „mal eben“ auf Ihre To-do-Liste schmuggelt oder einen Konflikt bei Ihnen ablädt – halten Sie innerlich inne.
Nicht jedes Päckchen, das Ihnen hingehalten wird, müssen Sie auch annehmen.
Noch präziser wird der Filter, wenn Sie drei Kategorien definieren:
- Relevanz für meine Rolle
- Relevanz für mein Team
- Relevanz für meine Werte
Bleibt nach dieser Prüfung nichts übrig, darf das Ding getrost in den Papierkorb. Und hier wird’s spannend: Je öfter Sie diese Entscheidung bewusst treffen, desto schneller erkennt Ihr System Muster – genau wie eine lernende KI.
Führungskräfte, die aufhören, sich für alles zuständig zu fühlen, werden nicht kalt. Sie werden klar. Und Klarheit ist das Gegenteil von Reizbarkeit.
Wer entscheidet, was zu ihm gehört – entscheidet auch, was draußen bleibt. Und genau das macht Sie immun gegen emotionale Fremdsteuerung.