Top-Thema

„Menschen sind atmende Wundertüten: Man weiß nie, was herauskommt, wenn man die richtigen Fragen stellt.“

Was Menschen innerlich antreibt, ist unterschiedlich. In seinem Buch „Motivations-Coaching mit V.I.E.L Spirit. Deine psychologische Gebrauchsanweisung“ erklärt der Psychologe Tom Rückerl, was Motivation überhaupt ist, wie sie entsteht und wodurch sie gehemmt wird. Wie das funktioniert, erläutert er in diesem Interview.

Anne Sengpiel

05.06.2025 · 6 Min Lesezeit

Was ist Motivation und wie entsteht sie im Job?

Motivation bedeutet Antriebskraft. Jedes Lebewesen verfügt über ein Motivations-Potenzial. Es motiviert dazu, genau das Verhalten zu zeigen, was dem Überleben nützt. Pflanzen sind motiviert, ihre Blätter dem Licht entgegenzustrecken, Tiere wollen jagen und fressen, um ihre Spezies zu erhalten. Der Homo Sapiens verbrachte 99 Prozent seiner Existenz in der Steinzeit, d. h., unser Gehirn ist ein Produkt der Evolution. Es wurde entwickelt, um in einer gefährlichen Umwelt zu überleben – früher als Horde, heute als Team. Die archaische Architektur in unserem psychischen Maschinenraum steuert unser Verhalten nach wie vor: Die Muster unserer Motivation sind ein biologisches Erbe, das in jedem modernen Menschen mehr oder weniger stark ausgeprägt ist.

Wie kann eine Führungskraft die Motivation stärken?

Aktuelle Erkenntnisse der Neuro-Psychologie helfen uns, menschliche Motivation zu verstehen. Wenn unsere Bedürfnisse und die äußeren Bedingungen zusammenpassen, wenn wir „artgerechte“ Bedingungen am Arbeitsplatz vorfinden – dann gibt es keine Motivationsprobleme. Störungen entstehen, wenn unser Gehirn die Reize, die von außen einströmen, als frustrierend erlebt. Dabei spielt die individuelle Bedürfnisstruktur eine wichtige Rolle.

Motivationsmuster der Mitarbeitenden können sehr unterschiedlich sein. Einige brauchen viel Kontakt, sind gesellig und wollen sich mit anderen Menschen austauschen. Andere haben dazu überhaupt keine Lust. Sie sitzen lieber im Backoffice und beschäftigen sich mit Zahlen. Als Führungskraft musst du herausfinden, welche Art von Mitmensch dir gegenübersitzt. Dabei hilft unser Motivationskompass. Er beschreibt unterschiedliche Typen, die jeweils spezielle Bedingungen brauchen, damit ihre Leistungsmotivation erwacht.

Wie ticken unterschiedliche Motivations-Typen?

Menschliche Motivation wird durch Bedürfnisse angetrieben. Je nachdem, welches Bedürfnis wie stark ausgeprägt ist, entwickeln sich im Laufe des Lebens unterschiedliche Persönlichkeitsstrukturen. Sie verursachen Verhaltensmuster, die für geübte Führungskräfte erkennbar sind. Dabei können vier Farb-Typen treffsicher identifiziert und zugeordnet werden.

ROTE Typen werden durch Individualbedürfnisse motiviert. Sie streben nach Dominanz, Macht und Erfolg. Im Konfliktfall behaupten sie sich offensiv, um eigene Interessen durchzusetzen. ROTE Typen wollen einen hohen Rang bekleiden, Entscheidungen treffen und durch eigene Leistung glänzen. Sie gelten als Macher. Besonders motiviert werden sie durch Herausforderungen, schnelle Erfolge, klare Ziele, Troubleshooting, Anreize, Belohnungen, Macht und Einfluss, Statussymbole und Trophäen.

GRÜNE Typen sind durch soziale Bedürfnisse geprägt. Sie suchen intensiven Kontakt mit Gleichgesinnten und mögen es, in einer vertrauten Gruppe gemeinsame Werte zu teilen. GRÜNE Typen sind meist introvertiert, gutmütig, geduldig und bereit, eigene Bedürfnisse zum Wohle der Gemeinschaft zurückzustellen. Motiviert werden sie durch Teamspirit, gegenseitige Unterstützung, soziales Engagement, demokratische Entscheidungsprozesse, intensiven Austausch und Mitbestimmung.

GELBE Typen mögen gesellige Aufmerksamkeit, Freiräume, Spontanität und alles, was Spaß macht. Sie wollen die Welt erkunden und sich ausprobieren. GELBE Typen werden motiviert durch Abwechslung, Freude, Leichtigkeit, Dynamik, Diversität – und sie brauchen Wertschätzung, Anerkennung und positives Feedback.

BLAUE Typen streben nach Sicherheit, Ordnung und Kontrolle. Sie wollen Situationen rational erfassen und nüchtern analysieren. Ihr Intellekt entwickelt funktionierende Lösungen für sachliche Probleme. BLAUE Typen mögen Distanz und klare Regeln. Motiviert werden sie durch präzise Ziele, berechenbare Prozesse und Kriterien, die messbar und überprüfbar sind.

Angenommen, wir haben einen BLAUEN Typen mit klaren und messbaren Zielen, Kontrolle und Sicherheit – und diesen Typ werfen wir jetzt in einen agilen Kontext …

Das wäre keine gute Idee. Es gibt Kontexte, in denen Agilität gut funktioniert, und es gibt andere Kontexte, da funktioniert es nicht – etwa in der Buchhaltung, dort passt es einfach nicht. BLAUE Typen haben überhaupt kein Interesse daran, agil zu arbeiten. Sie wollen Kontrolle und eine stabile Ordnung – dynamische Ungewissheit bedeutet für sie permanenten Stress, den es zu vermeiden gilt.

Als Führungskraft würde ich zunächst die Leistung der Mitarbeitenden würdigen, Vertrauen gewinnen und eine positive Beziehung aufbauen. Dann gilt es, die Grenzen des BLAUEN Instrumentariums logisch aufzuzeigen und schrittweise zu erweitern. BLAUE Typen reagieren auf Weg-von-Motivation, sie wollen negative Reizmuster vermeiden: „Wenn wir unsere Wettbewerbsfähigkeit nicht verlieren wollen, dann müssen wir …“. Als Führungskraft können Sie den BLAUEN Typen aufzeigen, was droht, wenn sie sich nicht verändern. Die Angst vor negativen Szenarien motiviert das BLAUE Gehirn, Energie zu mobilisieren, die Dinge unter Kontrolle zu bekommen und für sichere Verhältnisse zu sorgen.

Ganz anders sind die GELBEN, die Sonnyboys and -girls, die viel reden und gerne kreativ denken …

… ja genau, die GELBEN Typen brauchen Hin-zu-Motivation und wollen das gute Gefühl. Sie sind weltoffen, meist fröhlich und risikobereit. GELBE Typen suchen das Abenteuer, die Stimulanz – und langweilen sich schnell. Sie sind gesellig und lieben positives Feedback. Den BLAUEN erscheinen GELBE oft chaotisch, unberechenbar oder peinlich. Falls wucherndes GELB ein Team dominiert und es zu wenig BLAU gibt, mündet das im Chaos. Es fehlen Strukturen. Umgekehrt bewirkt zu viel BLAU über kurz oder lang Stillstand, eine bürokratische Friedhofsruhe.

Was motiviert GRÜNE Typen?

GRÜNE Typen sind echte Teamplayer. Da sie durch soziale Bedürfnisse gesteuert werden, schätzen sie menschliche Werte – Solidarität, Mitgefühl und Freundschaft. Der starke Wunsch nach Harmonie und Zugehörigkeit erfordert sensible Empathie-Systeme. Sie achten sehr darauf, ihre Mitmenschen nicht zu enttäuschen. Die GRÜNE Seele sucht feste Bindung in einer sicheren Gruppe. Sie mag emotionale Stabilität und strebt danach, Teil einer Wertegemeinschaft zu sein, in der man einander vertraut und sich gegenseitig hilft. GRÜNE Typen brauchen Teamspirit, um sich wohlzufühlen. Oft sind sie genügsam und rücksichtsvoll. Sie haben kein Problem damit, eigene Interessen zum Wohle der Gemeinschaft zurückzustellen.

Und die ROTEN Typen?

Ein ROTER Typ will gewinnen und sich durchsetzen. ROTE Typen mögen Wettbewerb. Sie streben nach Macht und Status. Ihr Dominanz-Anspruch erzeugt eine natürliche Leistungsorientierung. Pulsierende Ungeduld zwingt sie in die Aktivität: Sie neigen dazu, sich selbst und andere unter Druck zu setzen. ROTE Energie bringt Menschen ins Handeln, fokussiert auf direkten Erfolg. Selbst härteste Aufgaben sind kein frustrierendes Problem, sondern eine spannende Challenge, bei der man beweisen kann, was man draufhat.

Kann man jeden Menschen eindeutig einem Typ zu ordnen?

Ein geübter Beobachter kann die meisten Menschen schnell einordnen. Doch es gibt auch Mischtypen. Dann sind zwei Farben stark ausgeprägt. Im Grunde hat jeder Mensch alle vier Farben in seiner Persönlichkeit – nur in unterschiedlicher Ausprägung. Deshalb warne ich vor Schubladendenken! Es begrenzt unsere Wahrnehmung, behindert Empathie und Präsenz. In unserer Coaching-Ausbildung bezeichnen wir den Homo Sapiens als atmende Wundertüte. Man weiß nie, was aus einem Menschen herauskommt, wenn man die richtigen Fragen stellt, um verborgene Motivationspotenziale zu erforschen.

Warum sind Werte wichtig?

Werte leiten unser Handeln. Sie schaffen einen emotionalen Korridor, innerhalb dessen wir uns wohlfühlen. Wenn wir unseren Werte-Korridor verlassen, entstehen Sinnkrisen. Menschen verlieren die Orientierung, geraten in Burn-out-Spiralen. Einige entwickeln Schuldgefühle und werden vom schlechten Gewissen geplagt. Dann sinkt die Motivation, das Betriebsklima leidet. Unternehmen und Führungskräfte sollten die Werte ihrer Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen kennen und respektieren.

Wie motiviert man zu Spitzenleistungen?

Im Kopf des Homo Sapiens regiert das Hirn des Steinzeitmenschen. Wir wollen dazugehören, wollen als Teil einer starken Gemeinschaft erfolgreich überleben. Diese Bedürfnisstruktur ist als biologisches Erbe tief in unserer Psyche verwurzelt. Falls es Führungskräften gelingt, eine Situation zu simulieren, die sich anfühlt, als wären wir eine Steinzeithorde, die gemeinsam den Büffel erlegen will – dann werden archaische Motivationspotenziale aktiviert. Diese ursprüngliche Energie kann außerordentliche Leistungen hervorrufen – sie katapultiert Sportvereine in die Champions League und macht Business-Teams zu Marktführern.

Wie hat Ihnen dieser Artikel gefallen?

0
0

133
0
32
Anne Sengpiel ist Autorin für Führungswissen und Kommunikationsexpertin. Sie verleiht Menschen Ausdruck: Unternehmenslenkern ebenso wie unbekannten Persönlichkeiten.