Leserfrage

„Was ist eigentlich der Unterschied zwischen einem schwerbehinderten und einem gleichgestellten Mitarbeiter?“

FRAGE: Einer unserer Mitarbeiter hat uns darüber informiert, dass er einem Schwerbehinderten gleichgestellt wurde. Was bedeutet das für uns als Arbeitgeber? Worin besteht der Unterschied zu einem schwerbehinderten Mitarbeiter? ANTWORT: […]
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Hildegard Gemünden

11.12.2024 · 2 Min Lesezeit

FRAGE:

Einer unserer Mitarbeiter hat uns darüber informiert, dass er einem Schwerbehinderten gleichgestellt wurde. Was bedeutet das für uns als Arbeitgeber? Worin besteht der Unterschied zu einem schwerbehinderten Mitarbeiter?

ANTWORT:

Formal liegt der Unterschied im Grad der Behinderung

Eine Schwerbehinderung setzt einen Grad der Behinderung (GdB) von mindestens 50 voraus (§ 2 Abs. 1 Sozialgesetzbuch (SGB) IX). Über den GdB entscheidet das Versorgungsamt. Bei einem geringeren GdB als 50, aber einem GdB von mindestens 30 kann der Arbeitnehmer bei der Agentur für Arbeit beantragen, einem Schwerbehinderten gleichgestellt zu werden.

Gleichgestellte müssen Sie im Wesentlichen wie Schwerbehinderte behandeln. Das hat die nachfolgend beschriebenen Auswirkungen auf das Einstellungsverfahren, das laufende Arbeitsverhältnis und auf die Kündigung.

Vorsicht im Einstellungsverfahren!

Im Einstellungsverfahren dürfen Sie nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) grundsätzlich niemanden wegen seiner Behinderung (egal ob und welcher GdB) benachteiligen. Sobald Ihnen die Bewerbung eines Schwerbehinderten oder Gleichgestellten vorliegt, müssen Sie Ihren Betriebsrat und Ihre Schwerbehindertenvertretung unterrichten, sofern es diese Gremien in Ihrem Unternehmen gibt.

ACHTUNG!

In Betrieben mit mindestens 20 Arbeitsplätzen sind Sie verpflichtet, mindestens 5 % davon mit schwerbehinderten Mitarbeitern zu besetzen (§ 154 Abs. 1 SGB IX). Auf diese Pflichtplätze dürfen Sie auch gleichgestellte Mitarbeiter anrechnen. Ihre Mitarbeiter sind jedoch nicht verpflichtet, Sie über ihre Schwerbehinderung oder Gleichstellung zu informieren.

Im Arbeitsverhältnis: Anspruch auf leidensgerechte Beschäftigung, …

Gleichgestellte können wie schwerbehinderte Mitarbeiter verlangen, dass Sie ihren Arbeitsplatz nach Möglichkeit an ihre Behinderung anpassen (§ 164 Abs. 4 SGB IX). Erkundigen Sie sich hierzu nach Fördermöglichkeiten beim Integrations- bzw. Inklusionsamt, bei der Agentur für Arbeit oder den Integrationsfachdiensten.

… Befreiung von Mehrarbeit, …

Auf Wunsch müssen Sie Schwerbehinderte und Gleichgestellte von Mehrarbeit freistellen (§ 207 SGB IX). Mehrarbeit in diesem Sinne liegt aber nur vor, wenn die Arbeitszeit 8 Stunden pro Werktag überschreitet. Schwerbehinderte und Gleichgestellte brauchen demnach nicht sonntags zu arbeiten und an den anderen Tagen nicht über 8 Stunden hinaus. Ein Recht auf Befreiung von Nacht- oder Samstagarbeit gibt es nur, wenn dies im Interesse einer leidensgerechten Beschäftigung erforderlich ist.

… aber bei Gleichstellung nicht auf Zusatzurlaub

Schwerbehinderte Mitarbeiter mit einem GdB ab 50 (also nicht Gleichgestellte!) haben – ausgehend von einer 5-Tage-Woche – einen Anspruch auf Zusatzurlaub von 5 Tagen pro Jahr (§ 208 SGB IX). Besteht die Schwerbehinderteneigenschaft nicht das ganze Jahr, brauchen Sie den Zusatzurlaub nur anteilig für jeden vollen Kalendermonat mit Schwerbehinderung gewähren.

Beachten Sie den besonderen Kündigungsschutz

Schwerbehinderte sowie ihnen gleichgestellte Mitarbeiter genießen besonderen Kündigungsschutz, sobald ihr Arbeitsverhältnis länger als 6 Monate besteht. Daher brauchen Sie als Arbeitgeber vor einer Kündigung die Zustimmung des Integrations- bzw. Inklusionsamts (§ 168 SGB IX). Andernfalls ist Ihre Kündigung unwirksam! Wollen Sie einem schwerbehinderten oder gleichgestellten Mitarbeiter außerordentlich kündigen, muss Ihr Antrag auf Zustimmung innerhalb von 2 Wochen ab Kenntnis der Kündigungsgründe beim Integrations- bzw. Inklusionsamt vorliegen.

Besteht in Ihrem Betrieb eine Schwerbehindertenvertretung, ist sie (neben Ihrem Betriebsrat) zwingend zur beabsichtigten Kündigung anzuhören. Das gilt sogar in den ersten 6 Beschäftigungsmonaten, wenn Ihr Mitarbeiter noch keinen Sonderkündigungsschutz genießt (§ 178 Abs. 2 Satz 3 SGB IX).

Meine Empfehlung:

Am besten führen Sie die Verfahren beim Integrations- bzw. Inklusionsamt und Ihrem Betriebsrat sowie Ihrer Schwerbehindertenvertretung parallel durch!





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