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Agile Leadership 2.0: Wie Sie in selbstorganisierten Strukturen führen

Willkommen in einer neuen Ära der Führung, in der starre Befehlsstrukturen den Rückzug antreten und dynamische, selbstorganisierte Teams den Ton angeben. Sie als Führungskraft in der mittleren Ebene stehen an der Schwelle zu einem radikal veränderten Führungsverständnis – einem, das Raum für Kreativität, Eigeninitiative und interaktive Dynamiken schafft. Hier gilt es, die klassische Rolle des „Befehlshabers“ abzulegen und sich stattdessen als Impulsgeber und Moderator zu positionieren, der den Puls der Mitarbeitenden spüren kann.

Guido Bonau

13.03.2025 · 4 Min Lesezeit

In diesem Beitrag eröffnen wir Ihnen neue Perspektiven, die Ihre alltäglichen Führungsaufgaben revolutionieren. Wir tauchen ein in innovative Konzepte und erprobte Strategien, die Ihnen helfen, in selbstorganisierten Strukturen nicht nur zu bestehen, sondern diese aktiv mitzugestalten.

Freuen Sie sich auf eine unkonventionelle Annäherung an moderne Führung – sind Sie bereit, Ihr Führungsverhalten noch weiter nachhaltig zu transformieren?

Vergessen Sie Kontrolle – setzen Sie auf gezielte Unsichtbarkeit

Werden Sie überflüssig. Zumindest auf den ersten Blick. Die größte Falle für Führungskräfte in selbstorganisierten Teams ist der unbewusste Reflex, trotz neuer Strukturen weiter „lenken“ zu wollen.

Doch echte Eigenverantwortung entsteht nicht, wenn Sie als Sicherheitsnetz agieren. Ihr Ziel ist es, Ihr Team so aufzustellen, dass Sie nicht als Rettungsanker gebraucht werden – und genau das erfordert eine radikal andere Herangehensweise.

Der Schlüssel liegt in strategischer Unsichtbarkeit. Das bedeutet nicht, sich zurückzulehnen und zu hoffen, dass alles läuft. Es bedeutet, gezielt Einfluss zu nehmen, ohne den natürlichen Fluss der Selbstorganisation zu unterbrechen.

Stellen Sie keine Fragen, die auf Zustimmung oder Rechtfertigung hinauslaufen („Haben Sie daran gedacht…?“). Fragen Sie stattdessen so, dass das Team eigene Denkmuster hinterfragt: „Welche Annahmen haben Sie über diese Lösung getroffen?“ oder „Welche blinden Flecken könnten hier eine Rolle spielen?“

Zwingen Sie sich, in Meetings eine Weile zu schweigen. Statt Richtungen vorzugeben, markieren Sie Orientierungspunkte, die andere eigenständig verbinden müssen. Wenn jemand eine Entscheidung bei Ihnen „abholt“, geben Sie sie zurück: „Stellen Sie sich vor, ich wäre nicht da – wie würden Sie vorgehen?“

Machen Sie sich selbst zur Blackbox. Informieren Sie sich über alles, greifen Sie aber nur ein, wenn der Kurs zu gefährlicher Trägheit oder Grüppchendenken führt. Der Moment, in dem Ihr Team aus eigener Kraft erkennt, dass etwas nicht funktioniert oder funktionieren kann, ist der eigentliche Erfolg.

Selbstorganisation braucht Führung – aber sie darf nicht spürbar sein.

Schaffen Sie Unruhe – aber die richtige Art

Selbstorganisation ist kein Zustand, sondern ein ständiger Prozess. Und Prozesse haben eine unangenehme Eigenschaft: Sie neigen dazu, zu erstarren.

Auch in selbstorganisierten Teams bilden sich ungeschriebene Hierarchien, unausgesprochene Regeln und blinde Flecken.

Ihre Aufgabe? Sand ins Getriebe werfen – gezielt, dosiert und konstruktiv.

Doch Vorsicht: Reine Störung führt zu Chaos, und das bringt niemanden weiter. Stattdessen brauchen Sie gezielte Irritation. Bringen Sie das Team dazu, liebgewonnene Routinen infrage zu stellen.

Beispiel: Lassen Sie eine Entscheidung bewusst von jemandem treffen, der normalerweise nicht verantwortlich ist. Nicht, weil diese Person es „auch mal ausprobieren soll“, sondern weil eine frische Perspektive oft überraschende Lösungen zutage bringt.

Eine weitere Methode: Erzeugen Sie einen Perspektivwechsel, indem Sie Ihrem Team bewusst falsche Annahmen präsentieren. „Wir haben beschlossen, diesen Prozess ab sofort komplett zu ignorieren. Was passiert dann?“ Die ersten Reaktionen werden sicher Empörung oder Verwirrung sein – genau das ist der Punkt. Denn plötzlich beginnen die Mitarbeitenden, versteckte Zusammenhänge und Abhängigkeiten zu erkennen, die sie vorher als selbstverständlich hingenommen haben.

Nutzen Sie außerdem gezielte Verknappung. Streichen Sie in einem Meeting eine erwartete Ressource – sei es Zeit, Budget oder verfügbare Personen – und beobachten Sie, wie das Team reagiert. Kreativität entsteht nicht durch Sicherheit, sondern aus Notwendigkeit.

Ihr Ziel ist es, Bewegung ins Denken zu bringen, ohne Panik auszulösen. Setzen Sie Impulse, die das Team herausfordern, ohne es zu überfordern. Erst wenn Mitarbeitende gelernt haben, Unsicherheiten als Treibstoff für Fortschritt zu nutzen, haben Sie Ihr Ziel erreicht.

Setzen Sie auf Reibung – ohne verbrannte Erde zu hinterlassen

Selbstorganisierte Teams sind nicht die harmonischen, perfekt abgestimmten Einheiten, die viele sich vorstellen. Im Gegenteil: Sie brauchen Reibung, Meinungsverschiedenheiten und manchmal sogar ordentliches Chaos.

Aber genau hier liegt die Herausforderung: Wie stellen Sie sicher, dass diese Reibung produktiv bleibt und nicht in destruktive Konflikte oder lähmendes Abwarten umschlägt?

Die Lösung ist bewusste Spannungssteuerung. Stellen Sie sich Ihr Team wie ein Musikinstrument vor: Zu wenig Spannung, und es klingt kraftlos. Zu viel, und die Saiten reißen.

Ihre Aufgabe ist es, die richtige Spannung zu erzeugen – und das geht nicht mit Harmonie-Denken, sondern mit Friktion-Management und dem Momentum zum richtigen Zeitpunkt.

Ein erprobter Trick: Bringen Sie absichtlich Gegensätze zusammen. Wenn komplexe Entscheidungen anstehen, lassen Sie gezielt zwei Personen mit gegensätzlichen Denkansätzen die Argumente austauschen – aber mit einer Regel: Jede Person muss zuerst die Position der anderen Seite verteidigen, bevor sie ihre eigene vertreten darf. Das zwingt zum Perspektivwechsel und verhindert sinnlose Grabenkämpfe. Beispiel: Sie stehen im Team vor der Entscheidung, eine neue Software einzuführen, oder die alte zu behalten. Da kann die vorgestellte Technik Wunder wirken.

Noch ein wirksames Mittel als Steigerung zur oben vorgestellten „künstlichen Verknappung“: Arbeiten Sie mit produktiven Engpässen. Stellen Sie Ihrem Team absichtlich einander scheinbar ausschließende Aufgaben – etwa eine Aufgabe mit knappen Ressourcen, aber hohem Qualitätsanspruch.

Das klingt nach einer Zumutung, zwingt aber zu kreativen Lösungen. Wichtig ist, dass Sie das Dilemma offen kommunizieren: „Ich weiß, dass beides gleichzeitig schwierig ist – aber wie könnten wir es dennoch hinbekommen?“ Sie werden staunen, was beispielsweise die Verknappung des Zeitraums und die gleichzeitige Erhöhung des Qualitätsanspruches an kreativem Spiel freisetzen kann – wenn das Team weiß, dass es nicht drangsaliert wird, sondern ein Sinn dahintersteckt.

Der Punkt ist: Ein Team wächst nicht durch reibungslose Abläufe, sondern durch kontrollierte Spannungen. Ihre Aufgabe ist es nicht, Spannungen zu vermeiden – sondern sie so zu steuern, dass sie Innovation statt Frustration erzeugen.

FAZIT

Agile Führung heißt nicht, weniger zu führen – sondern klüger. Ihr Wert als Führungskraft misst sich nicht daran, wie viele Entscheidungen Sie treffen, sondern daran, wie viele Sie nicht mehr treffen müssen. Lassen Sie Unsicherheiten zu, nutzen Sie Spannungen und machen Sie sich selbst überflüssig. Denn nur wer bereit ist, Kontrolle abzugeben, schafft ein Umfeld, in dem echte Verantwortung wächst. Und genau das macht Sie als Führungskraft unersetzlich.

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Guido Bonau ist Diplom Ingenieur und war langjährige Führungskraft in verschiedenen Unternehmen. Als selbstständiger Coach nutzt er sein Wissen sowie seine Erfahrungen und hilft Führungskräften, erfolgreicher zu werden. Er ist in […]

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