Kündigung

Arbeitnehmer erwartet Kündigung und lässt sich krankschreiben: Beweiswert des AU-Scheins ist hinfällig

Als Arbeitgeber sind Sie bei Krankmeldungen Ihrer Mitarbeiter automatisch im Nachteil. Sie haben zum einen keine Glaskugel und die Installation von Kameras am Haus der Mitarbeiter wird regelmäßig nicht nur an datenschutzrechtlichen Problemen scheitern. Im Ergebnis sind Sie darauf angewiesen, dass konkrete Zweifel an den Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen (AU-Schein) deren Beweiswert erschüttern. Im nachfolgenden Urteil sah es das Gericht nicht so.
Business man sending resignation letter to boss and Holding Stuff Resign Depress or carrying cardboard box by desk in office.

Burkhard Boemke

06.10.2025 · 3 Min Lesezeit

Der Fall:

Ein Arbeitnehmer war bei seinem Arbeitgeber befristet bis zum 31.08.2024 als Omnibusfahrer beschäftigt. In den Herbstferien des Jahres 2023 (02.–14.10.2023) sollte der Arbeitnehmer mit anderen Kollegen auf neue Liniendienste eingewiesen werden. Der Arbeitnehmer war jedoch nicht gerade begeistert, neue Liniendienste zu übernehmen, und kommunizierte dies auch offen.

Am 27.09.2023 wurde der Arbeitnehmer zunächst bis zum 01.10.2023 und dann weiterhin bis zum 08.10.2023 mit der Diagnose „Kolitis/Durchfallerkrankung“ krankgeschrieben (12 Kalendertage). Der Geschäftsführer traf den Arbeitnehmer jedoch am 28.09.2023 mit seiner Familie in einer Eisdiele an. Vom 09.10. bis zum 13.10.2023 war der Arbeitnehmer wieder arbeitsfähig und nahm an einer Einweisung für die neuen Dienste teil.

Am 16.10.2023 gab der Arbeitnehmer seine Ausrüstung zurück und reichte eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung als Erstbescheinigung für den Zeitraum 16.10. bis zum 22.10.2023 ein. Der Arbeitnehmer behauptete, er habe am Vortag einen Anruf des Geschäftsführers erhalten, in dem ihm gesagt worden sei, dass ihm am nächsten Tag gekündigt werde. Der Sachverhalt konnte jedoch bis zum Schluss nicht aufgeklärt werden.

Für den Zeitraum vom 23.10.2023 bis zum 09.12.2023 reichte der Arbeitnehmer keine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ein. Für den Zeitraum vom 10.11.2023 bis zum 29.11.2023 legte er eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung als Folgebescheinigung vor. Der Arbeitgeber zahlte für den gesamten Zeitraum keine Entgeltfortzahlung. Dagegen zog der Arbeitnehmer vor Gericht.

§  Das Urteil:

 

Das Landesarbeitsgericht (LAG) wies die Klage weitestgehend ab. Der Arbeitnehmer habe nur bis einschließlich zum 15.10.2023 Anspruch auf Entgeltfortzahlung. Darüber hinaus stünde ihm nichts zu, weil der Beweiswert der vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen erschüttert sei.

Der Arbeitnehmer habe nach seinen eigenen Angaben die Ausrüstung am 16.10.2023 zurückgegeben, weil der Geschäftsführer ihn am Vortag angerufen und zur Rückgabe der Ausrüstung aufgefordert habe, da ihm am nächsten Tag gekündigt werde. Dementsprechend habe der Arbeitnehmer davon ausgehen müssen, dass er am 16.10.2023 eine Kündigung erhalten werde.

Dies werde dadurch bestätigt, dass er nach eigenem Vortrag am 16.10.2023 ausdrücklich nach der angekündigten Kündigung gefragt habe. Bereits diese exakte zeitliche Koinzidenz des Beginns der Arbeitsunfähigkeit mit der Rückgabe der Ausrüstung in subjektiver Erwartung der Kündigung durch die Arbeitgeberin erschüttere den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung.

Hinzu komme, dass der Arbeitnehmer tatsächlich bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses krankgeschrieben gewesen sei. Der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung werde zudem durch den Umstand erschüttert, dass die Arbeitsunfähigkeit genau zu dem Zeitpunkt begann, an dem der Arbeitnehmer die neuen Linienfahrten übernehmen sollte, für die er sich nach eigenem Vortrag nicht habe begeistern können. (LAG Köln, 03.06.2025, Az. 7 SLa 54/24)

Meine Empfehlung:

Kommt ein AU-Schein ins Personalbüro geflattert, müssen Sie grundsätzlich darauf vertrauen, dass dieser auch berechtigt ist. Der Beweiswert für die diesen begründende Erkrankung ist sehr hoch und kann nur in ganz bestimmten Einzelfällen angezweifelt werden. Ist der Beweiswert aber einmal erschüttert, muss der Arbeitnehmer alle Karten auf den Tisch legen.

Überblick: Hier bestehen berechtigte Zweifel an der Krankheit

Folgende Umstände haben die Gerichte für erheblichen Zweifel an einer Arbeitsunfähigkeit genügen lassen und zugunsten des Arbeitgebers entschieden:

  • Der Arbeitnehmer hatte die Erkrankung bereits angekündigt (z. B. für den Fall, dass beantragter Urlaub nicht gewährt wird).
  • Verhalten des Arbeitnehmers ist mit bescheinigter Krankheit unvereinbar (etwa Ausübung beschwerlicher Arbeiten, die mit der Tätigkeit an seinem Arbeitsplatz vergleichbar sind).
  • Der Krankenschein ist 5 Tage rückwirkend ausgestellt worden.

Nachdem Sie gelernt haben, wie schnell der Beweiswert eines Arbeitsunfähigkeits­scheins ins Wanken geraten kann, wenn eine Kündigung erwartet wird, richten wir nun den Blick auf eine weitverbreitete Herausforderung im Betrieb: Dauer­erkrankungen, die langfristig belasten. Im folgenden Artikel erfahren Sie, wie Sie mit der sogenannten „Amazon-Strategie“ bei mehr als 243 Krankentagen pro Jahr rechtssicher reagieren können.

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Professor Dr. jur. Burkhard Boemke ist seit 1998 geschäftsführender Direktor des Instituts für Arbeits- und Sozialrecht an der Juristenfakultät der Universität Leipzig. Er hat zahlreiche Bücher sowie Fachbeiträge zum Individual- […]